Hohe Strafen, neue Konkurrenz: „Ich glaube, die Späti-Kultur stirbt gerade aus“

Kontrollen des Ordnungsamtes und Automaten-Geschäfte bringen Leipzigs Spätis in Not. Einer der größten Betreiber gibt nun auf. Dabei gehören die Spätis zu Leipzigs Nachtkultur. Ist ihr Verschwinden noch aufzuhalten?

Anschreiben ist gar kein Problem. Der Betreiber eines Spätshops im Leipziger Osten schiebt ein Blatt über den Tresen. Auf dem Papier stehen etwa 40 Namen, daneben viele Striche. Meist sind es Vornamen, manchmal steht ein „Frau“ oder „Herr“ davor. Gegenüber vom Tresen, an einem Tischchen im Verkaufsraum, sitzen zwei Männer, plaudern, nippen an ihren Getränken, während sich die Zeilen neben ihren Namen mit Strichen füllen.

„Habibi, was geht?“, ruft der Späti-Betreiber, der lieber anonym bleiben möchte. Ein junger Mann ist durch die Tür gekommen. Er bestellt drei Sternburg, zwei Radler und ein Ost-Leipziger Gedeck für 6,80 Euro. „Gib mir sechs“, sagt der Späti-Chef und tippt den Betrag in die Kasse.

Das sind Szenen, die sich so oder so ähnlich in vielen Nächten in vielen Leipziger Spätis abspielen. Und dennoch liegt hier etwas im Argen. Denn Leipzigs Spätis, die im Nachtleben für manche wie ein zweites Wohnzimmer wirken, sind bedroht.

Leipziger Ordnungsamt kontrolliert viel im Sommer

Der Grund ist ein Gesetz, das es eigentlich schon länger gibt: das sächsische Ladenschlussgesetz. Geschäfte müssen um 22 Uhr schließen – und zu Geschäften zählen auch Spätshops. Leipzigs Spätis konnten sich nur etablieren, weil das Gesetz bislang etwas inkonsequent durchgesetzt wurde.

Doch das ändert sich – weshalb auch viele Späti-Betreiber weder mit Gesicht noch Namen erwähnt werden möchten. Anschreiben, Preise runden, vor allem nach 22 Uhr verkaufen – das alles mag zur Späti-Kultur gehören. Aber es kann auch horrende Geldstrafen nach sich ziehen.

Und diese Strafen häufen sich. Auf LVZ-Anfrage teilt Leipzigs Ordnungsamt mit: Seit Juni 2023 wurden 113 Kontrollen in Spätis durchgeführt. Oft rückte die Behörde wegen Lärmbeschwerden in lauen Sommernächten aus. Doch genau in diesen lauen Sommernächten, nach 22 Uhr, wenn alle Läden zu sind, machen viele Späti-Betreiber ihr Hauptgeschäft.

Der Winter dagegen: ein Verlustgeschäft. Ohne die lauen Sommermonate rechnet sich das Späti-Business also nicht. Ist der Ärger über Lärm in Leipzigs Szenevierteln inzwischen größer als die Lust auf ein geselliges Späti-Bier? Haben Spätis noch eine Zukunft?

Ahoi-Betreiber macht jetzt lieber Kneipe und Kantine statt Spätis

Dazu kann man einen befragen, der kein Problem hat, sein Gesicht zu zeigen. Simon Frank, Gründer und Betreiber der Ahoi-Spätis, hat die Lust verloren. Erst vor wenigen Tagen musste er vor Gericht das Urteil akzeptieren: 2250 Euro Strafe wegen Verstoßes gegen das sächsische Ladenschlussgesetz. „Ist natürlich scheiße“, sagt Frank.

Drei seiner fünf Spätis hat er schon aufgegeben. Einen weiteren baut er grade zur Kneipe um. In dem fünften, in der Südvorstadt, sitzt Frank an einem der drei großen Tische. Hier sieht es schon kaum mehr nach Späti aus: Diese Tische, Stühle und Regale sind neu. Auf der Karte stehen frische Quiche, Tacos und Chili sin Carne. Seit Mitte Januar gibt es sogar Bier aus dem Zapfhahn. Ein Späti ist das kaum mehr. Was dann? „Eine Kantine“, sagt Frank. In einigen Wochen soll der Umbau fertig sein.

Dass Frank seine verbliebenen „Ahoi“-Spätis mittlerweile eher Kneipe und Kantine nennt, sagt er, liege an der fehlenden Rechtssicherheit. „Die Kontrollen machen mir Angst.“ Der Trick: Er baut seinen Späti zur Gaststätte um. Die – und Tankstellen – sind unter anderem vom Ladenschlussgesetz ausgenommen.

Vor neuen Strafen, glaubt Frank, sei er trotzdem nicht sicher. Ob seine Kantine bei einer Kontrolle nicht doch eher als Laden gewertet wird, hänge von dem ab, der ihn kontrolliert. „Drei verschiedene Kontrolleure können zu drei verschiedenen Entscheidungen kommen“, sagt Frank. Gut möglich, dass das Ordnungsamt seinen Zapfhahn nur als Tarnung interpretiert.

Was Frank noch sagt: „Ich glaube, die Späti-Kultur stirbt gerade aus.“ Er ist nicht allein mit diesem Gefühl. Von zwei etablierten Leipziger Späti-Betreibern wisse er, dass sie bei einem guten Angebot sofort ihre Spätis verkaufen würden. Welche das sind, möchte er nicht sagen. Aber: „Wer will aktuell schon einen Späti übernehmen?“

Initiative will sächsisches Gesetz für Spätis ändern

„Sie gehören zu Leipzig, aber rechtlich existieren sie gar nicht“, sagt Jürgen Kasek über Spätis. Der Grünen-Stadtrat hat vergangenes Jahr die Initiative „Rettet die Spätis“ ins Leben gerufen. Ziel ist eine Änderung des fraglichen sächsischen Ladenschlussgesetzes. Laut diesem dürfen Lebensmittel, die nicht zum direkten Verzehr geeignet sind, nicht nach 22 Uhr verkauft werden. Kasek plädiert für „eine Ausnahmeregelung für kleine, inhabergeführte Geschäfte mit Getränkeverkauf als Schwerpunkt“. So könnten Spätis – genau wie Gaststätten und Tankstellen – bis nach 22 Uhr geöffnet haben.

Tatsächlich verfügt Sachsen über die strengste Verordnung. In Thüringen, Sachsen-Anhalt, Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern oder Berlin dürfen Geschäfte längst nach Belieben montags bis freitags, teils sogar bis samstags, rund um die Uhr öffnen. Einen Ausweg, den viele Spätis suchen: Sie stellen scheinbar auf Gastronomie um. Etwa, indem sie eine kleine Zapfanlage installieren. Oder warme Hot Dogs anbieten. Der Späti gilt dann nicht als Späti, sondern als Bistro. Ob das dem Ordnungsamt genügt? Das dürfte sich von Fall zu Fall unterscheiden.

Kommt das Ordnungsamt bei einer Kontrolle zu einem anderen Schluss, holen sich viele Betreiber einen Anwalt, der das komplizierte Gesetz zu ihren Gunsten auslegt. Denn das Amt kann Bußgelder bis 5000 Euro verhängen. Bei Verstößen an Sonn- und Feiertagen sind sogar bis zu 15 000 Euro fällig. In Leipzig landen die Betreiber auch bei Rechtsanwalt Sebastian Schmuck, der schon einige Geschäfte im Streit mit der Stadt vor Gericht vertreten hat.

„Der Vorwurf ist stets, dass es sich entweder gar nicht um eine Gaststätte handelt – oder diese nur zum Schein betrieben wird“, sagt Schmuck. Eine Frage, deren Auslegung laut Schmuck teuer werden kann. „Die Einhaltung der behördlichen Anordnung kann sogar mit Zwangsgeldern von bis zu 25 000 Euro durchgesetzt werden.“

„Automaten-Spätis“ als Alternative?

Wie also weiter? Wer in Leipzig die Augen offenhält, hat sie vielleicht schon bemerkt: Automaten-Spätis. Ein Leipziger Unternehmer investierte gar zehn Millionen Euro, mit denen er 200 Stück deutschlandweit eröffnen will, 50 davon in Leipzig. Geschäfte mit Tür, hinter der aber kein lächelnder Betreiber wartet, sondern Automaten stehen. Einige gibt es bereits – zum Unmut der Leipziger Späti-Szene.

„Klar, die lassen sich preiswert betreiben. Und sie scheinen keinen Stress mit dem Ordnungsamt zu haben“, sagt Simon Frank von Ahoi. Und der Betreiber aus dem Leipziger Osten meint: „Kapitalismus pur. Es gibt dort keine Gemeinschaft wie bei mir. Ich vertraue meinen Kunden.“ Für beide bleibt auch die Frage: Warum dürfen die öffnen und wir nicht?

Anfrage beim Leipziger Ordnungsamt. „Das sächsische Ladenschlussgesetz ist auf Warenautomaten nicht anwendbar“, heißt es aus der Behörde. Grund sei eine Regelung aus dem Jahr 2003. Seitdem zählten Automaten nicht mehr als Verkaufsstellen. Besonders bizarr: Die Automaten könnten gar als Gaststätten zählen, solang sie per Altersnachweis alkoholische Getränke verkaufen – und „besondere Vorrichtungen“ wie Flaschenöffner, Gläser oder Sitzgelegenheiten zum Verzehr vor Ort bereitstünden.

Ersetzen Automaten-Läden also bald die Spätis? Ahoi-Gründer Frank glaubt das nicht. „Dort fehlt der soziale Aspekt, den Spätis ausmachen.“ Aber vielleicht übernehmen die Automaten auch einfach so – weil die Späti-Szene von sich aus eingeht?

Spätis sind Nachtkultur und haben es doch schwer

Dabei ist sogar die Stadt auf ihrer Seite. In einer Antwort auf eine Anfrage der Grünen heißt es wohlwollend: „Sogenannte Spätis erhöhen die Versorgungs- und Aufenthaltsqualität in den Stadtvierteln für Einheimische und Gäste.“ Denn sie würden zu einem größeren Angebot beitragen. „Weiterhin sind sie ein Teil der Leipziger Nachtkultur, weil sie Menschen die Teilhabe am Nachtleben ermöglichen.“ Auch der Leipziger „Nachtrat“, der sich für eben jene Nachtkultur einsetzt, würde die Späti-Betreiber mit offenen Armen empfangen. „Spätis gehören definitiv zur Nachtkultur dazu“, sagt Koordinatorin Kristin Marosi.

Der Späti-Betreiber aus dem Leipziger Osten ist gerne Teil dieser Nachtkultur. Doch eine Strafe über mehrere Tausend Euro kann er sich kaum erlauben. Dennoch lässt er seinen Laden auch spätabends geöffnet. „Das Ladengesetz finde ich nicht gerecht. Normalerweise müsste ich um 22 Uhr schließen. Würde ich das tun, ich könnte auch gleich ganz dicht machen. Daran muss sich dringend etwas ändern.“ Seine Einnahmen reichten gerade zum Überleben. „Niemand wird allein als Späti-Inhaber reich. Ich fahre kein dickes Auto – und war seit der Gründung vor vier Jahren nicht länger als ein paar Tage im Urlaub.“

Die Unsicherheit, und ja, manchmal auch die Angst, steht mit am Tresen, das spürt man deutlich in den Spätis. Entspannt auch spät Späti sein dürfen – das wünscht man der Leipziger Nachtkultur.


24.07.2022 LVZ

„Die brauchen uns” – wie geht es Leipzigs Spätis und ihrer Stammkundschaft?

In Leipziger Spätis bekommt man nach Mitternacht noch Bier oder Salzstangen – und das Gefühl, zu Hause zu sein. Aber wie lange noch? Ein nächtlicher Spaziergang durch eine bedrohte Szene.

Eine Szene im Leipziger Osten an irgendeinem Dienstagabend. Es ist kurz vor Mitternacht, als Esmail Jewel „Moin Bruder“ über den Tresen ruft. Derjenige, der zurückgrüßt, ist Jakob. Er wohnt ein paar Stockwerke über dem „Smile Späti“ an der Rosa-Luxemburg-Straße und bestellt an diesem Abend einen Hot Dog. „Den besten der Stadt“, sagt er. „Liegt am Currygewürz“. Jakob ist fast jeden Tag hier. „Um was zu trinken, zu essen, oder zum Rauchen zu holen“, sagt er.

Aha, da isst also jemand einen Hot Dog. Man lässt die Szene noch ein wenig weiterlaufen, hört zu. „Warst du im Urlaub?“, fragt Jewel, und lässt Röstzwiebeln auf den Hot Dog rieseln. „Wie läuft’s mit dem Umbau?“, fragt Jakob zurück. Die beiden, die nur die Theke voneinander trennt, wirken vertraut wie zwei alte Freunde. Es sei ein Traum, sagt Jakob, „Esmail im gleichen Haus zu haben.“ Kunden wie Jakob, antwortet Esmail, seien „die Besten“.

Was sich hier im Leipziger Osten abspielt, ist genau genommen eine kleine Liebesszene. Der Späti-Besitzer und sein Stammkunde. Und wie es bei Liebesgeschichten so ist, hofft man auf ein Happy End. Aber da lauert immer auch ein Dritter, der dazwischenfunken kann. In diesem Fall: das Ordnungsamt.

Der Betrieb von Spätverkäufen ist eine rechtliche Grauzone

Denn Spätis, die in Leipzig Menschen zusammenbringen, die sich vielleicht nie begegnet wären, befinden sich in einer rechtlichen Grauzone. Laut dem sächsischen Ladenöffnungsgesetz dürfen Verkaufsstellen nur an Wochentagen bis 22 Uhr öffnen. Aber es gibt Ausnahmen: Wer Backwaren oder Milch verkauft, darf auch an Sonntagen verkaufen. Und wer Gastronomie betreibt, also Speisen „zum Verzehr an Ort und Stelle“ anbietet, kann bis zur Sperrstunde um 5 Uhr morgens öffnen.

Viele Spätis stellen sich deshalb seit Jahren Milch ins Regal oder verkaufen Hot Dogs – in der Hoffnung, dass das Ordnungsamt ihnen so die längere Öffnungszeit gestattet. Aber nicht immer klappt das. In diesen Tagen und Wochen ist die Leipziger Späti-Szene in hellem Aufruhr, weil es einmal wieder einen von ihnen erwischt hat. Erwischt, das heißt: Das geltende Gesetz wurde angewandt. Seit Himmelfahrt müssen zwei Ahoi-Spätis auf Anordnung des Ordnungsamts wochentags um 22 Uhr schließen. Also vor den wichtigen Nachtstunden, in denen ein großer Teil des Umsatzes gemacht wird.

Inhaber der Ahoi-Spätis: „Mir ist zum Heulen zumute“

Ahoi-Späti-Inhaber Simon Frank schrieb auf dem sozialen Netzwerk Instagram, ihm sei „zum Heulen zumute“. Er überlege, ob es sich überhaupt noch lohnt, die Spätis zu öffnen. Auch unter seiner Kundschaft herrscht Entsetzen. „Das kann doch so nicht angehen“, schrieb jemand unter den Instagram-Post. „Ich bin ebenfalls schockiert“, ein anderer. In der Leipziger Späti-Szene geht jetzt die Angst um. Manche malen sich schon düstere Szenarien aus. Gibt es vielleicht bald gar keine Spätis mehr in Leipzig?

Wer sich bei Betreibern und ihrer Kundschaft umhört, der erfährt, dass Spätis noch viel mehr sind als die bloße Möglichkeit, nach 22 Uhr ein Bier zu kaufen. Was bedeuten Leipzig seine Spätis? Und was wäre die Stadt ohne sie? Eine Suche nach Antworten an den Orten, die noch leuchten, wenn alles andere schon dunkel ist, natürlich: Mit einem kalten Bier in der Hand.

Es ist also dieser Dienstagabend, an dem Jakob den besten Hot Dog der Stadt bei Esmail bestellt, lediglich ein paar Stunden zuvor. Am Peterssteinweg sitzt eine Frau auf dem Fensterbrett eines Schaufensters, Zigarette in der einen Hand, die andere begrüßt mit einem Winken. Es ist Cristina Schweiger, die Besitzerin des Spätis, den sie seit drei Jahren als „Cristinas Magazin“ in der Südvorstadt betreibt. Die Zigarette klemmt sie an den Aschenbecher, steht auf, und betritt das, was sie „ihr Zuhause“ nennt.

In der Mitte stapeln sich Bierkisten und lassen nur noch einen schmalen Gang von der Eingangstür zur Theke. Hier verbringt Schweiger sechs Tagen die Woche und wartet auf ihre „Späti-Kinder“, so nennt sie ihre Kunden. Manchmal sitze sie hier noch bis spät in die Nacht mit ihnen zusammen. Ob sie denn mitbekommen habe, dass das in manchen Spätis nun gar nicht mehr geht, weil sie früher schließen müssen? Nein, sagt sie. „Wenn ich um 22 Uhr schließen müsste, dann wäre das hier erledigt.“ Von Beginn an habe sie also auch nach Mitternacht noch geöffnet, bisher ohne Probleme.

Der Spätverkauf hat seinen Ursprung in der DDR

Und so geht es ja vielen Leipziger Späti-Besitzern. Sie verkaufen ganz selbstverständlich bis weit nach 22 Uhr. Das mag auch daran liegen, dass die Spätis nicht erst vor ein paar Jahren auf einer Trendwelle in die Stadt geschwemmt wurden. Ihr Ursprung liegt in den Spätverkaufsstellen der DDR. Wurst, Gemüse und Kaffee fand man damals in den Regalen. So konnten die Schichtarbeiter ihre Einkäufe dank der langen Öffnungszeiten auch nach der Arbeit erledigen. Nach der Wende änderte sich das Sortiment, der Späti aber blieb. Seitdem gehören sie zu Leipzig. Und die Leipzigerinnen und Leipziger zu ihren Spätis.

Da sind David und Sascha, auf die man trifft, wenn man sich von Cristinas Magazin aus in den Westen Leipzigs begibt. In einer Gruppe stehen sie auf dem Bordstein vor dem „Schwarzmarkt“, der da gewollt abgerockt zwischen Läden mit heruntergelassenen Rollläden klemmt. Sascha dreht sich eine Zigarette. David schlürft seinen Wodka Energy mit einem Strohhalm. Und wie es am Späti so ist, dauert es nicht lange, bis einer beginnt, zu erzählen. Früher, sagt David, da habe er hier um die Ecke gelebt. Vor kurzem sei er weggezogen, etwas aus der Stadt heraus. Aber der „Schwarzmarkt“, der sei trotzdem noch sein Stamm-Späti.

Gemeinschaft, Gespräche, neue Leute treffen – das macht den Späti aus

„Du bist nostalgisch“, sagt Sascha, beide lachen. Aber mal im Ernst, was bedeutet David dieser Laden, dass er auch nach seinem Umzug noch regelmäßig zum „Schwarzmarkt“ pendelt? „Gegenfrage“, sagt David, „was bedeutet ein Skatspiel im Altenheim?“. Die Antwort kommt von ihm selbst: Gemeinschaft, Gespräche, neue Leute treffen, und so ist es eben auch beim Späti. Um ihn herum schwirren Menschen, rein in den „Schwarzmarkt“ und wieder raus. Manche verschwinden in der Nacht, manche aber bleiben noch. Sie setzen sich mit angewinkelten Beinen auf die Bordsteinkante der Georg-Schwarz-Straße und nippen am Bier. Auch nach 22 Uhr, an einem Dienstagabend.

Man will ja gern wissen, wie das funktioniert. Ein gut besuchter Späti, der auch an Wochentagen bis Mitternacht geöffnet hat. Und das, so wie es aussieht, ohne Probleme. Die Antworten hat der Besitzer des „Schwarzmarkt“, der an diesem Abend nicht hinter der Theke steht. Also ein zweiter Besuch am nächsten Tag. Es ist 22 Uhr, die Hitze des Tages drückt in den kleinen Laden. „Da kommen Sie genau richtig“, sagt Timm Göpfert und rollt eine Stoffjalousie an einem Regal hinunter. Jeden Tag um diese Uhrzeit bedeckt er alle Waren des täglichen Bedarfs, die er nach dem Ladenöffnungsgesetz nur bis 22 Uhr verkaufen darf. Dann bekommen seine Kunden nur noch das, was unter das gastronomische Angebot fällt. So hat er es mit dem Ordnungsamt abgesprochen.

Ihn hätte das Amt also nicht vor vollendete Tatsachen gestellt, ihm einfach die Öffnungszeiten gekürzt. „Aber das machen die hin und wieder ganz gerne“, sagt Göpfert. Deshalb findet er, müssten die Spätis aus der Grauzone heraus. Sicherlich hätten die Nachbarn „ein Recht auf Ruhe nach 22 Uhr“, sagt er. Doch wenn diese Ruhe eingehalten wird, wieso müsse man dann nachbohren, wie viel Gastronomie und wie viel Ladengeschäft ein Späti ist?

Ordnungsamt kontrolliert Spätis „anlassbezogen“

Zwischenfrage beim Ordnungsamt. Die Kontrollen der Spätis erfolgen meist „anlassbezogen“, schreibt ein Mitarbeiter. Also etwa, wenn sich Anwohner über Lärm beschweren oder „gezielte Hinweise“ geben – auf zu lange Öffnungszeiten, Verschmutzungen, oder Verstöße gegen das Jugendschutzgesetz. Hinzu kommen Kontrollen im Streifendienst. Dann wird der Späti begutachtet und letztendlich eine Entscheidung getroffen: Gastronomische Einrichtung oder Scheingastronomie? So war es bisher und so wird es laut Ordnungsamt auch bleiben: „Es gab keine Änderung, weder im Gesetz noch in der Verwaltungspraxis.“

Zurück zum Tag zuvor. Inzwischen ist es weit nach 22 Uhr, und man ist weitergewandert, zum nächsten Späti des Abends. Drei Etagen hat die „Schatzinsel“, unten Getränke, in der Mitte die Kasse, oben Lebensmittel. Wenn man so an den Regalen vorbeistreift, wird klar: Hier findet man wirklich alles, von der Rhabarberschorle bis zur Tomatensoße mit Jagdwurst im DDR-Stil verpackt. Und man findet Robert Kilian, einen der drei Besitzer des Spätis, hinter der Theke.

Seit fast 14 Jahren gibt es die Schatzinsel an der Forststraße, heute hat Kilian Neuigkeiten zu berichten. Fünf Tage hatten sie in der vergangenen Woche geschlossen, „wegen Corona“, das erste Mal in 14 Jahren. „Die Leuten standen fassungslos vor der Tür“, sagt er. Da könne man sich ja denken, wie das nun für die Kunden der zwei Ahoi-Spätis sein müsse. Schließlich sei der Späti auch so etwas wie eine Sozialstation. Dreiviertel der Kunden, schätzt Kilian, seien Stammkunden, die ihr Bier nicht im Supermarkt ein paar hundert Meter entfernt kaufen wollen. Nein, sagt Kilian, „die brauchen uns.“

Am liebsten ohne Amt oder der Polizei: „Ich will hier niemanden stören“

Der Späti als Sozialstation, und bei Mark, der hier gerade mit Stofftasche über der Schulter und Geldbeutel in der Hand durch die Eingangstür platzt, gewissermaßen auch Kreditgeber. „Einmal die orangenen American Spirit und die weißen OCB-Filter, bitte“, sagt Mark und schiebt hinterher, „ich zahl mit Karte, auch wenn es 20 Cent extra kostet“. Nur die Karte, die ist bei seiner Freundin. „Kann ich‘s morgen vorbeibringen?“. Natürlich kann Mark das Geld morgen vorbeibringen. Man kennt sich eben gut genug, um Ausnahmen zu machen.

Esmail Jewel will gar keine Ausnahmen machen. Zumindest nicht, wenn es um seine Öffnungszeiten geht. Man ist also an der Endstation des Abends angekommen, dem „Smile Späti“, es ist kurz vor Mitternacht. Er sitze hier gerne bis in die Morgenstunden, sagt Jewel, „das ist mein Feierabendspaß“. Natürlich am liebsten ohne Besuch vom Amt oder der Polizei. „Ich will hier niemanden stören“, sagt er. Seine Taktik: Am besten nicht auffallen. Kleine Diebstähle lasse er deshalb oft einfach durchgehen, dann gebe es keinen Ärger. Bisher war Esmail Jewel damit erfolgreich, auch zum Vorteil von Jakob, der sich mit seinem Hot Dog in der Hand verabschiedet.

Eine Frage noch, Jakob, was würde denn nun fehlen, so ohne den Späti im Haus? Der Hot Dog, das Bier, der Tabak? Jakob überlegt nicht lange: „Na, Esmail würde mir fehlen!“

Von Katja Gerland